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Willkommen auf Tuga

Welcome to Glorious Tuga, gebunden
CHF31.00
inkl. 2.6 % MwSt.

Produkt

KlappentextDer Auftakt zur Tuga-Trilogie | Eine farbenfrohe Welt, in die man sich flüchten kann, eine traumhafte fiktive Insel und ihre exzentrischen Bewohner. Die Londoner Tierärztin Charlotte Walker hat ein Stipendium auf der winzigen, abgelegenen Insel Tuga de Oro angenommen, um die vom Aussterben bedrohten Goldmünzenschildkröten im Inneren des Dschungels zu untersuchen. Sie kann die besten Gründe für dieses Jahr im Paradies anführen - gibt es eine bessere Motivation als die Rettung einer Art? -, aber die Realität ist komplexer. Denn Charlotte hat ein Geheimnis, und sie ist fest entschlossen, das Rätsel, das ihr Leben beherrscht, endlich zu lösen. Auf der Insel angekommen, findet sie für ihre Nachforschungen jedoch kaum Zeit. Denn neben den Schildkröten beanspruchen die Inselbewohner, die sie und ihren tierärztlichen Rat mit endlosen Kuchenlieferungen für sich gewinnen wollen, ihre Aufmerksamkeit. Und auch der neue Inselarzt Dan Zerki bringt Charlotte vollkommen aus dem Konzept.
Zusatztext»Ein liebenswerter Roman über sehr liebenswerte Menschen. Mit kleinen Geheimnissen und großen Sonnenuntergängen. (...) Der Sommer kann mit solchen Büchern kommen.« Stefan Busz, Züritipp, 27.6.2024
Details
ISBN/GTIN978-3-0369-5044-0
ProduktartBuch
EinbandartFester Einband
ProduktionslandSchweiz
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum12.07.2024
Auflage1. Auflage
Seiten497 Seiten
SpracheDeutsch
MasseBreite 125 mm, Höhe 190 mm, Dicke 42 mm
Gewicht447 g
Verlagsartikel-Nr.290/05044
BZ-Nr.46365609

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Inseln sind Orte, an die man sich flüchtet. Oder von denen man flieht.

Das Schiff lag seit Tagen vor Anker und wartete darauf, dass die See sich beruhigte. Sie befanden sich eineinhalb Kilometer vor der Korallenküste von Tuga de Oro, einem winzigen britischen Überseeterritorium, der weltweit abgelegensten bewohnten Insel, von der es wahlweise hieß, »die Uhren ticken hier wie vor hundert Jahren« ( Lonely Planet ), die Einwohner führten »ein englisches Gemeindeleben wie aus einem längst vergangenen goldenen Zeitalter« ( Time Out ), es handle sich um »ein in die Tropen verlagertes britisches Fischerdörfchen« ( Fodor´s Travel Guide ) oder - weniger wohlwollend - die Einwohner seien »in den Fünfzigern hängengeblieben, womöglich gar den Achtzehnhundertfünfzigern« ( The Wanderer ). Die wochenlange Überfahrt hierher hatte sich tatsächlich viktorianisch angefühlt. Jetzt waren sie Tuga zwar ganz nah, aber Charlotte hatte bisher nicht mehr von ihrem zukünftigen Wohnort gesehen als ein düsteres Meer durch das trübe, schmutzige Bullauge ihrer Kabine. Kurz nachdem sie in England in See gestochen waren, hatte sie den Fehler gemacht, dieses Bullauge zu öffnen, in der Hoffnung, ein wenig frische Luft werde die in ihr aufsteigende Übelkeit vertreiben. Stattdessen war sie fast an der warmen, stinkenden Dieselwolke erstickt, die zu ihr hereingeweht kam. Dieser Fehler würde ihr nicht noch mal unterlaufen. Morgen früh würden die Tenderboote endlich Passagiere und Fracht zur Insel bringen. Charlotte war gerettet, zumindest vor ihrer Seekrankheit. Bald würde sie in der üppigen Schönheit eines unberührten Dschungels sein, bei ihren Schildkröten.

Charlotte war neunundzwanzig Jahre alt und hatte am Zoologischen Institut von Regent´s Park in London über den Einfluss nicht-einheimischer Molche auf die Amphibienpopulation des Vereinigten Königreichs promoviert. Sie war immer schon fasziniert gewesen von Reptilien, vor allem von Landschildkröten. Sie symbolisierten Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit, und als sensibles Kind, Stubenhockerin und Tochter einer autoritären alleinerziehenden Mutter, die dazu neigte, sich überall einzumischen, hatte sie die Tiere seit jeher um die Möglichkeit beneidet, sich an einen Ort zurückziehen zu können, in den buchstäblich niemand eindringen konnte. Mit Charlottes Neigung zur Eigenbrötlerei war Lucinda Compton-Neville ganz und gar nicht einverstanden. Sie selbst war eine gesellige, äußerst gefragte Kronanwältin, die die Leistungen ihrer Tochter als persönliche Erfolge verbuchte und die Beschäftigung mit schleimigen Kriechtieren nicht als prestigeträchtig genug empfand.

Charlottes frühe Kindheit war von Kindermädchen überwacht und von Kreaturen bevölkert gewesen, die die Haushälterin der Compton-Nevilles verabscheut hatte: Wüstenrennmäusen, Hamstern, Goldfischen vom Jahrmarkt und einmal sogar einer Bartagame, die Charlotte liebevoll Joan genannt hatte, nach Joan Beauchamp Procter, der ersten Frau, die zur Reptilienkuratorin des Londoner Zoos ernannt worden war. Charlottes Mutter entwickelte mit der Zeit einen ganz besonderen Hass auf dieses Haustier, und das ständige Schneckenjagen für das Reptil trieb das Kindermädchen fast zur Verzweiflung. Nur ihr Mitgefühl mit dem ungewöhnlich braven kleinen Mädchen verhinderte, dass sie sich eine andere Anstellung suchte.

Als Charlotte zehn war, heiratete Lucinda ihren Anwaltskollegen Adrian Walker und verbannte unbarmherzig sämtliche Tiere - bis dahin Charlottes großer Trost - aus dem Haus, mit der Begründung, das muntere Trio deutlich jüngerer Stiefbrüder biete genug Unterhaltung. Charlottes Privatschule bekam die Hamster, ein Terrarium voller Pfeilgiftfrösche wurde in einem schwarzen Taxi zurück zu Palmer´s Zoohandlung chauffiert, und die Stabheuschrecken wurden freigelassen und mussten von da an ihr Glück in den Buchsbaumhecken von Regent´s Park versuchen. Charlotte Compton-Neville wurde zu Charlotte Walker. Auch wenn sie nachts leise und unaufdringlich um ihre verlorenen Gefährten weinte, öffnete sie ihr kleines Herz für Adrian Walker, in der verzweifelten Hoffnung, dass endlich ein Vater in ihr Leben getreten war und die jahrelange unausgesprochene Sehnsucht ein Ende hatte. Sie wurde enttäuscht: Ihre Stiefbrüder kamen nur selten zu Besuch, und ihre Mutter ließ sich nach weniger als einem Jahr wieder von diesem wenig überzeugenden, unempfänglichen Stiefvater scheiden. Danach tauchte er nur noch sporadisch in Lucindas Leben auf, und zwar ausschließlich als gegnerischer Anwalt vor Gericht. Wenn Charlottes Mutter auf diese Weise mit ihm zu tun hatte, wurde ihre Laune jedes Mal explosiv und unberechenbar. Nach der Scheidung nahm Lucinda wieder ihren Mädchennamen Compton-Neville an, und Charlotte, die inzwischen auf eine weiterführende Schule ging und um den vornehmen Klang wusste, den Doppelnamen in England besaßen, weigerte sich, den Nachnamen Walker abzulegen. Sie wollte nirgends auffallen, weder negativ noch positiv. Die Tiere in ihrem Leben blieben weitgehend imaginär oder theoretisch, bis sie ihr Studium begann.

Während des Grundstudiums nahm Charlotte beklommen zur Kenntnis, wie groß die Distanz zwischen ihr und ihren Tiermedizin-Kommilitonen war. Die anderen lernten und tranken zusammen, machten zusammen Sport und schliefen in wechselnden Konstellationen miteinander. Charlotte hingegen gesellte sich nur in der Bibliothek zu ihnen, und wenn sie doch einmal mit in den Pub ging, schlüpfte sie nach der zweiten Runde wieder hinaus. Ihr Wunsch, dazuzugehören, war nicht groß genug, als dass sie das riskante Verhalten ihrer Mitstudenten kopiert hätte. Sie hatte regelrecht Angst davor, albern zu sein, etwas zu wagen, sich emotional angreifbar zu machen, und es gelang ihr nicht, so zu tun, als würde es ihr Spaß machen, sich in Wales von einem Felsen abzuseilen, im Lake District Berge hinaufzustürmen oder während einer Kneipentour in Bloomsbury im Tierkostüm Bier in sich hineinzuschütten. Charlotte hatte überhaupt noch nie ein Bier in sich hineingeschüttet, auch keine Zigarette geraucht oder einen One-Night-Stand gehabt. Ihr hätte ohnehin niemand abgenommen, dass so etwas normal für sie war. Natürlich half es kein bisschen, dass die meisten Studierenden am Royal Veterinary College von außerhalb stammten, zusammen in Wohnheimen lebten und sich aufgrund ihrer knapp bemessenen Studiendarlehen miteinander solidarisierten. Sie hingegen residierte weiterhin privilegiert bei ihrer Mutter, in einem weißen Stadtpalais mit Stuckelementen im Regent´s Park, das so herrschaftlich war, dass es ihr peinlich gewesen wäre, jemanden mit nach Hause zu bringen.

Die meisten Tiermedizin-Absolventen ließen sich nach dem Studium in Kleintierpraxen nieder oder nahmen Beratertätigkeiten in der Viehzucht an, wohingegen sich Charlotte dankbar und hoch motiviert auf ihre Promotion stürzte, für die sie einen Arbeitsplatz in einem fachübergreifenden Labor an der Zoological Society of London bezog. Ihr Leben widmete sie fortan den Molchen, und davon gab es jede Menge in England. Sie fühlte sich wohl zwischen all den Wissenschaftlern, Biologen und Bioinformatikern ihres Instituts und erkannte sich selbst in ihnen wieder, in ihrer Introvertiertheit, ihrem überzogenen Perfektionismus. Herpetologen galten als besonders schrullig - geduldig, hartnäckig und zurückgezogen, gleichzeitig verspielt, wenn ihnen danach war. Im Grunde wie Landschildkröten.

 

»Klopf, klopf!« Die Tür ging einen Spalt auf, und Charlotte strich rasch ihre Bettdecke glatt und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Dan Zekri erschien mit einem kleinen Edelstahltablett, auf dem ein mit Frischhaltefolie abgedeckter Becher Suppe und ein braunes Brötchen lagen. Dan hatte dunkle Haut, strahlend blaue Augen und tiefe, immer wieder unerwartet zum Vorschein kommende Grübchen - eine auffällige Kombination äußerer Merkmale, die typisch für die Bewohner Tugas waren, auch wenn Charlotte dies noch nicht wusste. Sie selbst besaß ebenfalls Grübchen und verspürte immer eine Mischung aus Zugehörigkeitsgefühl und Konkurrenzdenken, wenn sie - was selten vorkam - anderen Menschen mit kleinen Dellen in den Wangen begegnete. Dan war nicht groß, aber kräftig, breitschultrig wie ein Rugbyspieler und zuvorkommend wie ein Butler. Er war stets so adrett gekleidet und strotzte derart vor Gesundheit, dass sie anfangs wegen ihres eigenen verwahrlosten Zustands am liebsten im Erdboden versunken wäre. Doch dann war ihre Seekrankheit so schlimm geworden, dass es ihr gleichgültig war, ob sie die Überfahrt überlebte, und erst recht, wie gut der Mann aussah, der ihr beim Erbrechen die Haare hochhielt. Dan erschien jeden Tag im schneeweißen Hemd - sein Vorrat schien unerschöpflich zu sein - und nach Menthol und Seeluft riechend in ihrer Kabine, während Charlotte schwitzend und krank auf ihrer Pritsche dahinsiechte. Kaum sehnte sie sich nach frischer Luft, kam Dan mit einem Ventilator zurück.

»Wie geht es meiner Patientin heute?«

Charlotte setzte sich beklommen auf. Sie wartete. Der Brechreiz blieb aus. Die Kajüte schwankte zwar, aber drehte sich wenigstens nicht mehr.

»Ein bisschen besser, glaube ich.«

»Gute Neuigkeiten: Das war die letzte Konservenbrühe, versprochen. Ich weiß zufällig, dass wir Karotten und Zwiebeln im Frachtraum haben, die für Tuga bestimmt sind. Sobald wir auf der Insel sind, werden Sie mehr Hühnersuppe vorgesetzt bekommen, als Sie essen können.« Dan reichte ihr die Suppentasse und das Brötchen und ließ sich dann wie üblich am Fußende ihrer Koje auf dem Boden nieder. Er lehnte sich lässig zurück und griff nach einer schmalen Fachzeitschrift.

»Also, wo waren wir stehengeblieben? ... «
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Autor

Francesca Segal, 1980 in London geboren, studierte in Oxford und Harvard und ist Journalistin und Kritikerin. Sie veröffentlicht unter anderem im Granta Magazine, Guardian und Daily Telegraph, ist Kolumnistin für den Observer und Feuilletonistin für das Tatler Magazine. Ihr Debütroman Die Arglosen erschien 2013 und gewann zahlreiche Preise, u. a. den Costa First Novel Award und den National Jewish Book Award for Fiction. Bei Kein & Aber erschienen neben ihrem Debüt Die Arglosen (2013) auch Ein sonderbares Alter (2017) und Mutter Schiff (2019). Willkommen auf Tuga (2024) ist der Auftakt zur Tuga-Trilogie. Francesca Segal lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in London.
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